Corona-Krise und gewerbliche Mietverträge
Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales hat durch Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 quasi ein Betriebsverbot wegen des Corona-Virus für bestimmte Branchen wie Einzelhandel, Gastronomie, etc. erlassen.
Hierauf haben einige Firmen wie z.B. Adidas, H&M und Andere angekündigt keine Mietzahlungen mehr zu leisten.
Die Empörung in der Politik und Gesellschaft war dementsprechend groß. Dies jedoch unberechtigt. Tatsächlich könnte den Mietern gewerblicher Räume ein Anspruch auf Mietminderung auf „0“ oder anders ausgesprochen die Unterlassung der Mietzahlung zustehen.
Weder Politiker noch das gemeine Volk sind dabei die Personen, die hierüber berechtigt sind eine Aussage zu treffen. Eventuelle Streitigkeiten hierüber obliegen den Gerichten.
Nach meiner vorläufigen Würdigung der Sach- und Rechtslage kann ich die Entscheidung bei bestimmten Branchen keine Mietzahlungen mehr zu leisten durchaus nachvollziehen. Ob und in welcher Höhe die Mietzahlungen zu unterbleiben haben ist jedoch stets eine Frage des Einzellfalles, welche erst nach erfolgter Prüfung des konkreten gewerblichen Mietvertrages angeraten werden kann. Nachdem es sich hierbei jedoch auch um eine „Ausnahmesituation“ handelt und daher keine konkrete höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, bleibt stets auch ein juristisches Restrisiko übrig.
Zunächst ist bei der Würdigung der Rechtssituation hervorzuheben, dass meine Prüfung unabhängig von den Mietzahlungsvereinbarungen aus der oben benannten Algemeinverfügung ist. Die benannte Allgemeinverfügung bestimmt lediglich, dass zwischen bestimmten Zeiten wegen dem Corona Virus nicht wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden darf. Der Anspruch des Vermieters auf Mietzahlungen bleibt bestehen. Der Zahlungsverzug soll lediglich bis zu einem Zeitpunkt im Jahre 2022 abgebaut werden.
Bei meiner Prüfung geht es jedoch um dem Anspruch auf Mietzahlung an sich:
Abhängig vom vereinbarten Mietzweck sind die Miete für gewerbliche Mieträume für den Zeitraum der Geltung der Allgemeinverfügung des Bayerisches Staatsministeriums grundsätzlich auf Null herabzusetzen, soweit die Betriebe und die vereinbarten Mietzwecke davon betroffen sind.
In den allermeisten Fällen sind in den gewerblichen Mietverträgen der jeweilige „Mietzweck“ z.B. Ausschank von Speisen und Getränken, Straßenverkauf oder der Betrieb einer Apotheke oder Lebensmitteleinzelhandels fest vereinbart.
Wenn jedoch dieser vereinbarte Mietzweck und damit der Betrieb aufgrund des behördlichen – von keiner Partei zu verschuldeten – Betriebsverbotes von Gesetzes wegen nicht mehr ausgeführt werden kann, ist die Miete für diesen Zeitraum ebenfalls nicht mehr geschuldet.
1. Unmögliche Mietzweckerreichung
Wenn die Leistung des Vermieters, die bei der zur Verfügung Stellung der Räumlichkeiten zu einem bestimmten Zweck liegt, aufgrund Unmöglichkeit nicht erfüllt werden kann, darf auch die Gegenleistung, die Zahlung der Miete, unterbleiben.
Hierzu gibt es bereits Rechtsprechung. In einem Fall war der Vermieter aufgrund einer behördlichen Nutzungsuntersagung nicht in der Lage die vertraglich vereinbarte Leistung, die zur Verfügung Stellung der Mieträume zum vereinbarten Zweck, zu erfüllen. Demnach hatte der Mieter mindestens ein Recht zur gesetzlichen Mietminderung um 100 % der geschuldeten Miete (LG Gießen, Urteil vom 01.03.2000, Az. 1 S 443 / 99).
2. Mangel der Mietsache
Ferner lässt sich dass zudem auch über einen befristeten Sachmangel der Mietsache nach § 536 BGB begründen. Der Mangel liegt hier daran dass sich die Mietsache nicht zu dem von den Parteien vereinbarten Mietzweck verwenden lässt.
Der Mieter ist von der Entrichtung der Miete befreit, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter oder auch später einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt (§ 536 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wird Geschäftsraum vermietet, muss der Raum zu dem vereinbarten Zweck geeignet sein; dies setzt u. a. voraus, dass der beabsichtigten Nutzung z.B. als Gastronomie keine behördlichen Beschränkungen, auch keine nachträglichen entgegenstehen. Kann ein Geschäftsraum wie vorliegend aus Gründen des Seuchenschutzrechts nicht zu dem vertraglich vereinbarten Zweck genutzt werden, liegt ein Mangel vor mit der weiteren Folge, dass der Mieter von der Zahlungspflicht frei wird.
3. Wegfall der Geschäftsgrundlage
Zudem kann auch der sogenannte Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliegend sein. Das bedeutet dass die Geschäftsgrundlage – also die Erlaubnis den jeweiligen Betrieb zum vereinbarten gewerblichen Zweck zu betreiben – temporär weggefallen ist und keine der Parteien dies zu verschulden hat. In einem solchen Fall wird überlegt wie sich beide objektiven Vertragspartner die Vereinbarung zur Mietzahlung vereinbart hätten, wenn beide Parteien davon gewusst hätten, dass wie hier vorliegend für eine gewisse Zeit der Mietzweck ohne Verschulden einer Partei aufgrund behördlicher Nutzungsuntersagung wegen Seuchenschutz nicht erfüllt werden kann.
Da es sich hier um ein vorübergehendes von beiden Parteien unentschuldigtes Problem handelt ist eine Mietminderung auf „0“ die Konsequenz. Im Gegenzug wird der Vermieter von etwaigen Schadensersatzansprüchen seines Mieters wegen entgangenem Gewinn ebenfalls zu befreien sein. Denn für den Zeitraum in dem keinerlei Einnahmen generiert werden, hätten die Parteien vernünftigerweise auch keine Mietzahlung vereinbart, und der Vermieter hätte für solch einen Fall seine möglichen Haftungsrisiken auch abgewendet.
4. Analog zu § 1104 ABGB (Österreichisches Allgemeines Bürgerliches Besetzbuch)
Nachdem der deutsche Gesetzgeber für solche Fälle keine konkrete Gesetzgebung hat, könnte auch an eine analoge Anwendung des § 1104 ABGB gedacht werden.
Die analoge Anwendung einer Norm kommt vereinfacht gesagt in Betracht, wenn für einen bestimmten Sachverhalt keine Rechtsnorm existiert, d. h. eine Gesetzeslücke oder Regelungslücke vorliegt.
Die hier analog anzuwendende Vorschrift wäre § 1104 ABGB, welche folgenden Wortlaut hat:
„§ 1104 ABGB
Wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerordentlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder Seuche, großer Überschwemmungen, Wetterschläge, oder wegen gänzlichen Mißwachses gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist der Bestandgeber zur Wiederherstellung nicht verpflichtet, doch ist auch kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten.“Demnach ist der konkrete Fall eines Seuchenbefalls (beim Corona Virus handelt es sich um eine solche!) in Österreich geregelt.
Folglich ist der Mieter von der Mietzinszahlung befreit, sofern die Nutzung wegen eines Seuchenbefalls nicht erfolgen kann.
Nachdem der Sachverhalt und auch die Interessenslage die selbe ist, könnten hier auch die Normen des Österreichischen ABGB herangezogen werden.
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Außerdem kann im Einzelfall für gewerbliche Flächen die zwar unter die Allgemeinverfügung fallen jedoch dennoch weiter genutzt werden können, wie etwa der Straßenverkauf eines Teils der Gastronomiefläche auch etwas anderes gelten. Ein Laden kann zwar für den Kundenverkehr geschlossen sein, aber die übrigen Räume können trotzdem zugänglich und nutzbar sein (z.B. administrative Tätigkeit im Büro wie Steuer etc. Internetverkäufe).
Außerdem muss man im Einzelfall prüfen ob überhaupt konkret ein Mietzweck vereinbart wurde und ein Betrieb vom Verbot umfasst ist und falls ja ob im Ganzen oder nur Teilweise. Es kann auch durchaus sein, dass kein konkreter Mietzweck vereinbart wurde, demnach steht es dem Mieter frei seinen Betrieb den behördlichen Vorgaben entsprechend neu zu gestallten. Der Mieter wäre ohne Mietzweckbindung frei jegliches Gewerbe auszuüben, diese Freiheit beinhaltet jedoch auch das Risiko der weiteren Mietzinszahlung, auch wenn für bestimmte Betriebe eine behördliche Nutzungsuntersagung kommt. Ohne Mietzweckbindung könnte der Mieter daher weiterhin verpflichtet sein die Miete weiterhin zu entrichten.
Ich rate daher für jeden Mieter oder Pächter eines von der benannten Allgemeinverfügung betroffenen Betriebes den konkreten Mietvertrag zu prüfen, und vorerst etwaige Mietzahlungen, wenn überhaupt nur unter Vorbehalt zu entrichten. In vielen gewerblichen Mietverträgen sind zudem auch vom Vermieter bestrittene Mietminderungs- und Aufrechnungsansprüche wirksam ausgeschlossen. Daher kann es auch notwendig sein zunächst den Mietzins zu entrichten und erst später auf Rückzahlung zu klagen.
Das Vorgehen der Firmen wie z.B. Adidas oder H&M und andere ist somit nicht als verwerflich anzusehen. Vielmehr ist es konsequent und auch aus dem geltenden Mietrecht heraus erklärbar. Alle anderen politischen Stellungnahmen hierzu oder Boykottaufrufe können als populistische Stimmungsmache bezeichnet werden.
Serdal Altuntas
Rechtsanwalt
München, 29.03.2020